Eigenkapital im Risikomanagement für Banken: Wirklich knapp – oder strategisch vernachlässigt?
- NextLevel

- 11. Aug.
- 4 Min. Lesezeit
"Stellen wir uns vor, wir brechen uns das Bein – und bekommen Globuli statt Schmerzmittel. Willkommen im Risikomanagement der Banken" ...
Eigenkapital gilt als teuer, knapp und schwer verfügbar (nach Blattner im Buch "Globales Risikomanagement für Banken" Seite 3 (Auflage 2003). Doch stimmt das wirklich? Oder ist diese Sichtweise ein Relikt aus der klassischen Kapitalmarkttheorie, das modernen Anforderungen im Risikomanagement für Banken nicht mehr gerecht wird?
In diesem Beitrag hinterfragen wir die gängige Annahme, dass Eigenkapital (EK) eine knappe Ressource sei – und zeigen anhand aktueller Zahlen, eines historischen Szenarios, typischer Praxis-Einwände und eines visionären Ausblicks, warum Banken oft selbst dafür sorgen, dass EK knapp bleibt.
Die klassische Sicht: Eigenkapital als teure und begrenzte Ressource
In der Bankbetriebslehre und im Risikomanagement wird Eigenkapital häufig als „knapp“ bezeichnet. So schreibt etwa Blattner:
„Eigenkapital ist immer eine knappe Ressource und deren Verfügbarkeit mit z. T. erheblichen Kosten verbunden.“
Diese Aussage - die von vielen Politikern und ganzen Finanzsystemen unreflektiert hingenommen wird - stützt sich auf mehrere Argumente:
EK ist teurer als Fremdkapital, da es höhere Renditeerwartungen erfüllen muss.
Regulatorische Anforderungen (z. B. Basel III/IV) setzen Mindestquoten, die Banken erfüllen müssen.
ROE-Optimierung führt dazu, dass Banken mit möglichst wenig EK arbeiten, um die Eigenkapitalrendite zu maximieren.
Kurz gesagt: Die klassische Sicht betrachtet EK als Kostenfaktor – nicht als strategische Ressource.
Die Gegenposition:
"Eigenkapital ist verfügbar – wenn man es denn will"
1. Thesaurierung statt Dividendenpolitik
Banken könnten Gewinne einbehalten und so ihre EK-Basis stärken. Doch viele Institute schütten lieber aus – oft aus Signalgründen gegenüber dem Kapitalmarkt sowie dem streng gelebten Shareholder-Value ...
2. Aktienemission als strategisches Werkzeug
Gerade in profitablen Zeiten könnten Banken neue Aktien ausgeben. Die Angst vor Verwässerung und negativen Marktreaktionen verhindert jedoch oft diesen Schritt.
3. WACC als entscheidende Grösse
Wenn der Weighted Average Cost of Capital (WACC) stimmt, ist EK nicht „zu teuer“, sondern ein sinnvoller Bestandteil der Kapitalstruktur.
Kurz gesagt: EK ist verfügbar – wenn Banken es strategisch priorisieren.
Schauen wir uns hier die Geldmenge einfach mal genauer an: Entwicklung der globalen Geldmenge (2000–2025)
Die Geldmenge weltweit ist in den letzten 25 Jahren explosiv gewachsen. Hier ein Überblick:
Jahr | Geschätzte globale Geldmenge (M2) | Bemerkung |
2000 | ca. 25 Billionen USD | Beginn der digitalen Finanzexpansion |
2010 | ca. 45 Billionen USD | Nach der Finanzkrise: massive Liquidität |
2020 | ca. 75 Billionen USD | Corona-Konjunkturprogramme weltweit |
2025 | über 90 Billionen USD | Rekordniveau – digitale Geldmenge dominiert2 |
Hinweis: Der Grossteil dieser Geldmenge besteht aus Giralgeld – also Bankguthaben, das durch Kreditvergabe entsteht. Reines Bargeld macht nur etwa 7,6 Billionen USD aus.
Fazit:
„Die Geldmenge explodiert – das Eigenkapital schrumpft. Wer in einem Meer aus Geld nach Substanz dürstet, hat ein strukturelles Problem.“
Aktuelle Zahlen: Schweizer und europäische Grossbanken
🇨🇭 Schweizer Banken (2024/2025)
CET1-Quote: 14–16%
Bilanzsumme (Top 4): > CHF 1.5 Billionen
Jahresgewinn: > CHF 6.5 Milliarden
Dividendenausschüttungsquote: z. B. Basellandschaftliche Kantonalbank 56.7%, Luzerner Kantonalbank 46.5%, One Swiss Bank über 40%
🇪🇺 Europäische Banken
CET1-Quote: 16.27%
ROE: 9.34%
Dividendenausschüttungen: EUR 433 Milliarden in 2024
Dividendenrendite: STOXX Europe 600 Banks bei 8.7%
Kurz gesagt: Die Gewinne sind da – aber sie fliessen kaum in den EK-Aufbau.
Was wäre, wenn? – Szenario seit der Dotcom-Blase
Hätten Banken seit 2000 jährlich nur 30% ihrer Gewinne thesauriert:
EK-Zuwachs: > CHF/€ 240 Milliarden über 25 Jahre
EK-Quote: > 25% statt 14–16%
Auswirkungen: Weniger systemische Risiken, mehr Kreditspielraum, weniger Bailouts
Kurz gesagt: Strategische Thesaurierung hätte die Resilienz des Bankensektors massiv gestärkt.
Was passiert mit den restlichen Gewinnen?
Wenn EK kaum steigt, obwohl Gewinne vorhanden sind – wohin fliesst das Geld?
Ausschüttungen & Rückkäufe: Kapitalzehrend, nicht EK-wirksam
Rücklagenbildung: Oft bilanziell neutral oder EK-mindernd
Steuern & regulatorische Beiträge: Substanzielle Abflüsse
Investitionen: Digitalisierung, ESG, Cybersecurity – strategisch sinnvoll, aber nicht EK-stärkend
Kurz gesagt: Der EK-Aufbau bleibt auf der Strecke – trotz Rekordgewinnen.
Praxis-Einwände – und unsere Antworten
Einwand | Antwort |
EK ist teuer – der WACC steigt | Der WACC ist modellbasiert und beeinflussbar. EK senkt langfristig Risikoprämien. |
Aktienemissionen verwässern | Verwässerung ist steuerbar. EK stärkt Kreditwürdigkeit und senkt Kapitalkosten. |
Insider blockieren EK-Massnahmen | Governance-Thema. Transparente EK-Ziele überwinden Blockaden. |
Kurz gesagt: Die Einwände sind bekannt – aber strategisch lösbar.
Risikomanagement für Banken: Eigenkapital als strategischer Schutzschild
Eigenkapital ist der Puffer, der Banken (und wie wir gelernt haben ganze Volkswirtschaften und ihre Bürger) in Krisenzeiten schützt:
Absorption von Verlusten
Vertrauen bei Stakeholdern
Flexibilität bei Kreditvergabe
Kurz gesagt: EK ist nicht nur regulatorisch notwendig – sondern strategisch unverzichtbar.
Ein Blick nach vorn: Tokenisierung & digitale Währungen als Gamechanger
Alle Industrien reden von Digitalisierung und digitaler Transformation - jedoch scheinen Banken bewusst die digitale Transformation mit offenen Augen zu verschlafen. Gerade jetzt können Banken den Lead übernehmen und die Revolution unserer Zeit auf den NextLevel heben. Jedoch finden Innovationen nur im technischen Zugang zum Geld bzw. an Verwaltungsstellen statt, anstatt konkret neue Produkte zu entwickeln. Die Kombination aus Tokenisierung, digitalen Währungen und Krypto-Assets könnte das Eigenkapitalmanagement von Banken fundamental verändern.
Tokenisierung
Digitale Abbildung von Vermögenswerten auf Blockchain
Ausgabe von tokenisierten Aktien (Security Tokens)
Automatisierte Ausschüttung & Governance via Smart Contracts
Digitale Währungen
Einführung des digitalen Euro ab 2026
Stablecoins & tokenisierte Zahlungsmittel im Interbankenverkehr
Neue Kapitalaufnahme-Modelle über digitale Plattformen
Regulatorische Hürden
Krypto-Assets mit bis zu 1'250 % Risikogewicht
Anerkennung als EK nur bei regulatorischer Konformität (CRR III, MiCAR)
Kurz gesagt: Die Zukunft des Eigenkapitals ist digital – wenn Banken den Mut haben, neue Wege zu gehen.
Fazit & was macht NextLevel daraus?
Eigenkapital ist nicht knapp, weil es nicht verfügbar wäre. Es ist knapp, weil Banken es nicht priorisieren, nicht konsequent aufbauen und nicht strategisch einsetzen.
Im Risikomanagement für Banken sollte Eigenkapital nicht als Belastung, sondern als strategische Ressource verstanden werden – verfügbar, steuerbar und entscheidend für langfristige Stabilität.
In unserem Diplomstudiengang zum Dipl. Betriebswirtschafter:in HF mit Vertiefung in „Controlling und Unternehmenssteuerung mit Finanzbuchhaltung nach IFRS / Swiss GAAP FER“ analysieren wir genau solche Zukunftsthemen – und stellen das Risikomanagement der Banken auf den Prüfstand. Wir diskutieren, wie Tokenisierung, digitale Währungen und neue Kapitalstrategien das EK-Management revolutionieren könnten.
Kurz gesagt: Wer Eigenkapital klug managt – analog oder digital – managt Risiko aktiv.





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